Die Familie Mecklenburg
Hanna Mecklenburg
Ich heiße Hanna Mecklenburg, bin in Lübeck geboren und war Schülerin der Ernestinenschule. Mein kleiner Bruder hieß Hermann, er war fünf Jahre jünger als ich. Wir wohnten mit unseren Eltern, Heinrich Herbert und Thea – eigentlich Therese, aber so nannte sie niemand – Mecklenburg in der Mengstr. 52. Mein Vater arbeitete in der Papiergroßhandlung Mecklenburg.
Wir hatten viele Verwandte, die überall verstreut in Lübeck wohnten, in der Lindenstr., der Sophienstr. und An der Mühlenbrücke. Meine Eltern hatten viele Geschwister. Wir feierten oft zusammen, wenn jemand Geburtstag hatte oder wenn jemand geheiratet hat. Oft besuchte uns meine Oma Falck.
Mein Bruder Hermann ist in der jüdischen Volksschule eingeschult worden, weil er als jüdisches Kind nicht auf eine normale Schule gehen durfte.
Seit die Nazis hier das Sagen hatten, fühlte ich mich nicht mehr wohl in meiner Heimatstadt. Ich hatte mich beim jüdischen Jugendbund, dem Brith Hanoar, angemeldet. Hier traf ich mich mit meinen Freundinnen und Freunden, denen es genauso ging wie mir. Wir wollten alle nach Palästina auswandern und mithelfen einen jüdischen Staat aufzubauen, frei von Antisemitismus und Judenhass. Wir trafen uns am Wochenende und unternahmen etwas zusammen. Letztes Wochenende waren wir in Bad Segeberg und haben die Kreidehöhlen besichtigt.
Mein Vater hatte Angst vor der Kündigung und sprach immer wieder über Auswanderung. Eines Tages ist er nicht mehr da, unsere Mutter hat erzählt, dass er nach Belgien gereist ist und wir ihm bald folgen werden. Wir mussten noch unser Mobiliar verkaufen, weil wir es nicht mitnehmen konnten. Ich musste mich von allem, was mir lieb war, trennen. Leider hatte ich noch kein Visum für Palästina bekommen, bis zuletzt hatte ich gehofft, dass es noch klappt. Ich wollte nur hier weg.
Dann konnten wir endlich Vater nach Brüssel folgen. Tante Dina und Onkel Maurice hatten uns eine Arbeitsstelle besorgt. Ich arbeitete als Haushaltshilfe in einer belgischen Familie.
Aus den Nachrichten hatte ich erfahren, dass Deutschland Belgien überfallen hat. Was sollte jetzt aus uns werden?
Hanna und Hermann Mecklenburg
- Hanna Mecklenburg wurde am 30.7.1922 und Hermann Marcus am 20.7.1927 in Lübeck geboren
- ihre Eltern, Heinrich Herbert Mecklenburg und Therese Mecklenburg, wohnten mit ihnen in der Mengstr. 52, wo die Familie eine Papiergroßhandlung besaß
- Hanna ging wahrscheinlich wie ihre Mutter und Tanten zur Ernestinenschule
- Hermann wurde wahrscheinlich in die Jüdische Volksschule eingeschult
- Hanna war Mitglied in der zionistischen Jugendgruppe Brith Hanoar
- im September emigrierte Herbert Mecklenburg nach Belgien
- Hanna, Hermann und Therese Mecklenburg folgten dann im Dezember 1938
- in Belgien arbeiteten sie als Haushaltshilfen und Hermann als Elektrotechniker
- Heinrich Herbert Mecklenburg starb am 1.1.1941 im südfranzösischen Internierungslager Gurs
- Therese Mecklenburg und ihre beiden Kinder wurden am 11. August 1942 nach Auschwitz deportiert und hier ermordet.
Wir wohnten nicht zusammen in einer Wohnung, jeder von uns hatte eine kleine Kammer für sich, da wo man gearbeitet hat.
Plötzlich war Vater verschwunden. Es hieß, er ist von der Polizei verhaftet worden. Wir befürchten das Schlimmste.
Unsere Verwandten haben uns geraten, uns katholisch taufen zu lassen. Vielleicht schützt uns das vor der Verfolgung.
Wir hatten dann die Aufforderung bekommen, uns im belgischen Judenregister registrieren zu lassen, die Taufe hat also nichts genützt.
Wir haben die furchtbare Nachricht bekommen, dass unser lieber Vater im Internierungslager Gurs in Südfrankreich gestorben ist. Meine Mutter weinte den ganzen Tag.
Wir haben von der deutschen Besatzungsbehörde die Aufforderung erhalten, uns in Mechelen, einem Sammellager, einzufinden zum Arbeitseinsatz im Osten. Von Nachbarn haben wir erfahren, dass man von der Polizei oder der Gestapo abgeholt wird, wenn man die Aufforderung nicht befolgt.
Am 11. August 1942 wurden Hermann und ich – und mit uns die Familie Strawczinsky aus Lübeck – mit dem Zug nach Auschwitz gebracht. Auschwitz …?!
Familie Mecklenburg
Familie Mecklenburg, Mengstr. 52
In der Mengstraße 52 wohnte vom Oktober 1924 bis zum Oktober 1938 die Familie von Heinrich Herbert Mecklenburg.
Das Haus war schon seit 1886 der Sitz der Papierwarengroßhandlung H.Mecklenburg & Co., die sein Vater Hermann (Heymann Juda) Mecklenburg 1874 mit Philipp Jacob Ruben zusammen gegründet hatte und später gemeinsam mit seinen Söhnen weitergeführt hatte.
Hermann (Heymann Juda) Mecklenburg, geboren 1841 in Moisling, war in erster Ehe verheiratet mit Marjanne Mecklenburg, geborene Adler, ebenfalls in Moisling im Jahre 1849 geboren. Die beiden wurden lt. dem Personenstandsregister der Israelitischen Gemeinde „am 7. December 1873 in Hamburg durch den Rabbiner dort“ getraut. Ihre Tochter Getrud Hella kam 1874 in Lübeck zur Welt. Marjanne Mecklenburg verstarb am 22. Februar 1875 im Alter von 26 Jahren an Lungentuberkulose. Ein Jahr darauf, am 29. Mai 1876, heiratete Hermann Mecklenburg erneut: Friederike Würzburg, 1851 in Lübeck geboren. Das Ehepaar bekam sechs Söhne und drei Töchter.
Ihr Sohn Leopold, 1882 als fünftes Kind geboren, starb am 8.5.1898 im Alter von sechzehn Jahren an einer Wirbelsäulentuberkulose. Nur einen Monat später fand die Hochzeit der ältesten Tochter Gertrud Hella mit Moritz (Mozes) van Berg in Lübeck statt. Sie zog mit ihrem Mann in dessen Heimatstadt Groningen in Holland. Auch ihre drei jüngeren Schwestern gingen in den nächsten Jahren in das Nachbarland. Bertha Braune (Jahrgang 1878) heiratete 1902 Simon Salomon David de Jong, die 1883 geborene Dina nahm 1907 den „Agenten“ Marcus Blitz aus Amsterdam zum Mann, und schließlich meldete sich 1915 auch die jüngste Tochter Recha (Jahrgang 1885) nach Amsterdam ab.
Die fünf Söhne absolvierten nach Abschluss der Schule kaufmännische Ausbildungen in der Papierbranche. Julius (Jahrgang 1876), Willy (Jahrgang 1879) und Heinrich Herbert (Jahrgang 1886) stiegen in die Firma des Vaters ein und lebten mit ihren Familien in Lübeck. Moritz (Jahrgang 1880) zog 1902 nach Berlin und dann weiter nach Chemnitz, wo er 1908 Elise Adler heiratete. Der jüngste Sohn Abraham Friedrich (Jahrgang 1889) schließlich verließ 1909 das Elternhaus und ging zunächst nach Bückeburg und dann nach Oels in Schlesien.
Alle fünf Brüder meldeten sich im 1. Weltkrieg als freiwillige Soldaten, ein deutliches Zeichen der starken Assimilation der Familie, wie der Fotofächer mit den fünf Kriegsteilnehmern und ein Ereignis aus dem Jahr 1931 dokumentieren.
Im November 1931 äußerte der Hauptpastor am Dom Dr. Helmuth Johnsen auf einer öffentlichen Versammlung des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V.:
„Das deutsche Volk wird sich gegen undeutschen Geist, gegen Verjudung Deutschlands zu wehren wissen.“
Die anwesende „Witwe Mecklenburg“, eine Angehörige der fünf freiwilligen Soldaten war darüber so empört, dass sie trotz einer Entschuldigung des Pastors noch am Versammlungsabend den Rechtsanwalt Jacobsohn einschaltete, der als Vorsitzender des Lübecker Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (Jüdischer Frontbund) eine Beschwerde formulierte, die im März 1932 in der Sitzung des Lübecker evangelisch-lutherischen Landeskirchenrates zwar behandelt wurde, aber wegen der erfolgten Entschuldigung als erledigt betrachtet wurde, was den Rechtsanwalt zu neuerlicher Beschwerde veranlasste.
Zu diesem Zeitpunkt aber lebten Hermann Mecklenburg und seine Frau Friederike schon lange nicht mehr. Hermann (Heymann Juda) Mecklenburg starb am 4. Februar 1913, seine Frau Friederike Mecklenburg, geborene Würzburg am 2. August 1915. Nicht mehr erleben mussten sie die Liquidierung und Übernahme der Firma
„H. Mecklenburg & Co.Lübeck“ durch einen anderen Geschäftsmann. Dieser beschäftigte Herbert und Willy Mecklenburg weiter als Prokuristen und wollte dem neuen Firmennamen den Zusatz „vormals H. Mecklenburg & Co“ hinzufügen, was jedoch zwei Konkurrenten im Papierhandel zu verhindern wussten.
Heinrich Herbert Mecklenburg war verheiratet mit Therese Mecklenburg, Thea genannt. Sie wurde am 31.5.1893 geboren und stammte ebenfalls aus einer alteingesessenen Lübecker Familie, der Familie Falck. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Hanna wurde am 30.7.1922 in Lübeck geboren, Hermann Marcus am 20.7.1927.
Ein weiteres Foto zeigt die Familienrunde am 80. Geburtstag von Margarethe Babette Falck, der Mutter von Therese Mecklenburg, der 1935 im Haus Mengstraße 52 gefeiert wurde.
Am Tisch sitzen vier ihrer Töchter: Alice Wrescher, geborene Falck (zweite von links), sie starb in Riga. Emmy Ettlinger, geb. Falck (dritte von links) konnte nach Palästina auswandern. Gertrud Fürst, geb. Falck (dritte von rechts), überlebte Auschwitz und starb 1948 in Hamburg. Ihr Mann Henry (hinter ihr stehend) blieb in Auschwitz. Juliane Mansbacher, geb. Falck ( zweite von rechts), wurde in Auschwitz ermordet. Ihr Mann Martin Mansbacher (ganz links)starb 1940 nach schwerer Krankheit in Lübeck. Ihr Sohn Peter (ganz rechts im Bild) konnte mit einem Kindertransport nach England gebracht werden. Eine seiner Cousinen (stehend links) konnte nach Argentinien auswandern. Bei dem rechts stehenden Herrn soll es sich um einen Paul Jaffé handeln, über den nichts weiter bekannt ist..
Am Kopf der Tafel sitzt Margarethe Falck. Sie starb in Theresienstadt.
Hinter ihr steht ihre Tochter Therese mit ihren Kindern Hanna und Hermann Marcus und ihrem Mann Herbert Mecklenburg. Hanna ist zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt, der Bruder 8 Jahre.
Beide sind auch auf dem Foto der Jüdischen Religionsschule aus dem Jahre 1935 zu finden.
Von links: Esther Carlebach (Jahrgang 1922, Tochter von Simson Carlebach, 1939 Palästina), Josef Winter (Jahrgang 1923, Sohn des Rabbiners Winter, 1938 England, später Palästina), Hella Jacoby (Jahrgang 1921, 1939 Palästina), Hanna Mecklenburg, Rachel Winter (Jahrgang 1922, Tochter des Rabbiners Winter, 1938 England, nach 1945 Palästina), Adolf Frohmann (Jahrgang 1912, 1942 im KZ Mauthausen ermordet), Hans Hermann Meyer (Jahrgang 1921, 1937 Palästina, nach 1945 Amsterdam)
Im September 1938 emigrierte Herbert Mecklenburg nach Belgien. Seine Familie folgte ihm im Dezember 1938 nach Wesembeek bei Brüssel. Doch der Fluchtort bot nur vorübergehend Sicherheit bis zur Besetzung durch die Deutschen. Auch eine katholische Taufe verhinderte nicht die Registrierung im Judenregister und schließlich die Deportation.
Heinrich Herbert Mecklenburg wurde in das südfranzösische Internierungslager Gurs gebracht und kam dort am 1.1.1941 ums Leben. Therese Mecklenburg und ihre beiden Kinder wurden nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Auf der Transportliste vom 11. August 1942 von Mechelen für den zweiten Zug findet sich unter der Nr. 303: Hermann Marcus Mecklenburg, Elektrotechniker, staatenlos, und unter Nr. 304: Hanna Mecklenburg, Haushälterin, staatenlos.
Hanna war 20 Jahre, Hermann Marcus 15 Jahre alt.
Quelle: Recherche und überarbeiteter Text von Heidemarie Kugler-Weiemann, 2010
https://www.stolpersteine-luebeck.de/main/adressen/mengstrasse-52.html