Gedenkstättenfahrt 2023

Die Erinnerung an das Grauen wachhalten

Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz 7. - 14. Oktober 2023

Seit einigen Jahren bitten wir die Teilnehmer*innen für die Menschen aus Lübeck, die nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden, fiktive Briefe zu schreiben. Einige dieser Briefe werden dann von ihnen an der Grundresten der provisorischen Gaskammer des Roten Hauses in einer kleinen Gedenkfeier verlesen. Anschließend legen wir dort Blumen und von der Ostsee mitgebrachte Steine an dem Ort nieder, an dem Hanna und Hermann Mecklenburg ermordet wurden. In diesem Jahr haben wir die Briefe für die Homepage zusammengestellt.
„Ich habe lieber weggeschaut“

„Ich habe lieber weggeschaut“, so lauteten die Worte eines Kraftfahrers in Auschwitz, der Häftlinge zu medizinischen Versuchen gefahren hat und genau wusste, was mit ihnen geschehen würde. Symbolisch steht dieser Ausspruch für die Ignoranz und das Versagen der vieler direkt oder indirekter Beteiligter, während der Holocaust seinen verheerenden Lauf nahm.

Unsere Reise in diese Vergangenheit war eine zutiefst bewegende und lehrreiche Erfahrung. Die Reise führte uns an einen Ort, der als ein Symbol für eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte steht.

Doch unsere Fahrt zur Gedenkstätte Auschwitz war mehr als „nur“ ein Besuch an einem historischen Ort – es war eine Reise in die tiefsten Abgründe der Menschheit, aber auch ein Versprechen, die Erinnerung an die Opfer des Holocaust am Leben zu wachzuhalten.

Auschwitz, der Ort, an dem über eine Million unschuldiger Menschen während des Holocausts ihr Leben ließen. Zu diesem Ort brachte uns die Reise.

Wir alle wussten, was auf uns zu kommen würde, doch trotzdem verfolgte uns ein Gefühl der Ungewissheit, der Unsicherheit, ob wir diesem Ort emotional gewachsen sein würden. Mit diesen Ängsten wurden wir nicht alleine gelassen, im Gegenteil, wir wurden auf alles Bevorstehende sehr gut vorbereitet.

Unsere Fahrt begann morgens sehr früh und wir erreichten gegen Mittag unseren ersten Stopp – Berlin. Dort verbrachten wir zwei Tage und beschäftigten uns am ersten Tag intensiv mit dem jüdischen Leben in Berlin auch schon vor der Zeit des Nationalsozialismus und am zweiten Tag beschäftigten wir uns mit den Tätern und mit Berlin während des Nationalsozialismus, sodass auch dieser Aufenthalt uns weiter auf alles Bevorstehende vorbereitete.

Je mehr wir über die Thematik erfuhren, desto bedrückter wurde natürlich auch die Stimmung in unserer Gruppe. Wir realisierten nun immer mehr, welche Komplexität dieses Thema aufweist und es diese intensive Beschäftigung wirklich benötigt, um ansatzweise zu verstehen, wie diese Taten zustande kamen. Obwohl wir uns so intensiv mit dem Holocaust auseinandersetzten, konnten wir trotzdem nicht wirklich nachvollziehen, wie so viele Menschen zu soviel Grausamkeit in der Lage waren.

An dem darauffolgenden Tag setzte sich unser Bus in Bewegung und wir fuhren nach Polen, nach Oświęcim, wie Auschwitz eigentlich heißt. Am Abend erreichten wir unser Ziel. Spätestens als das Schild „Oświęcim“ zu lesen war, wurde allen bewusst, dass wir nun wirklich da waren; alle schauten aus dem Fenster und sahen sich die Umgebung ganz genau an. Heutzutage ist Oświęcim ein ganz normaler Ort, wir fahren an Einkaufsläden vorbei, unbeschwerte Menschen gehen durch die Straßen, ein Ort wie jeder andere – oder doch nicht.

Am nächsten Tag betrachteten wir Oświęcim und seine umliegenden Dörfer genauer und suchten einige sogenannte „stillen Orte“ auf, welche zur damaligen Zeit auch in Verbindung zum Konzentrations- und Vernichtungslager standen, heutzutage aber nicht mehr als Orte des Schreckens zu erkennen sind. Durch den Besuch dieser Orte begannen wir den Komplex „Auschwitz“ besser zu verstehen. Denn hinter Auschwitz steckte so viel mehr, als „nur“ ein Konzentrations- und ein Vernichtungslager. Es gab so viele kleinere Orte im sogenannten Interessengebiet, einem Sperrgebiet, das ca. 40 Quadratkilometer groß war und das zu Auschwitz und seiner Tötungsmaschinerie gehört hat.

Am Nachmittag war es dann so weit, wir besuchten das Stammlager  Auschwitz I.

Als wir das ehemalige Konzentrationslager und heutige Gedenkstätte erreichten, empfing uns eine Kälte, die sich tief in unsere Knochen grub. Aber die Kälte, die wir dort spürten, ging weit über das Wetter hinaus. Sie war eine Erinnerung an die Kälte der Herzen derjenigen, die in Auschwitz vor Jahrzehnten geherrscht hatten. Es war schwer vorstellbar, dass an diesem Ort vor nicht allzu langer Zeit unschuldige Menschen gelitten hatten und gestorben waren.

Der Rundgang begann schließlich und wir standen vor dem berüchtigten Tor von Auschwitz. „Arbeit macht frei“ stand in eisernen Buchstaben geschrieben, und dieser zynische Schriftzug hallte in unseren Köpfen. Wir gingen durch die verfallenen Baracken, in denen die Gefangenen unter unmenschlichsten Bedingungen leben mussten. Die Überreste von Schuhen, Brillen und Haaren der Opfer waren stumme Zeugen des Grauens, welches hier stattgefunden hatte. Dieser Moment war für die meisten der Emotionalste der ganzen Fahrt; es führte vor Augen, wie real das Ganze leider war. Die Gegenstände der ehemaligen Häftlinge, die in den verschiedenen Ausstellungen zu sehen waren, berührten uns sehr, ebenso die vielen Portraitfotos der Häftlinge, die auf den langen Gängen einzelner Blocks ausgestellt waren. Das Grauen war nicht mehr weit weg, es fühlte sich so nah an – unser Bild von dem Ort, wo so viele unschuldige Menschen leben und sterben mussten, wurde immer konkreter.

Aber das Emotionale an diesem Besuch waren nicht nur die physischen Überreste, sondern auch die Geschichten, die uns von unserem Guide erzählt wurden. Die Geschichten von Menschen, die ihre Familien und ihre Zukunft verloren hatten. Die Geschichten von Heldinnen und Helden, die trotz des Grauens ihre Menschlichkeit bewahrten und anderen halfen. Die Geschichten von Überlebenden, die es geschafft hatten, gegen alle Widrigkeiten zu überleben und damit Zeugen dieser schrecklichen Geschichte zu werden.

An diese Menschen versuchen wir auch heute noch zu erinnern. Wir, die Teilnehmer der Fahrt, haben uns intensiv mit Familien aus Lübeck beschäftigt, welche Opfer des damaligen NS-Regimes wurden und Briefe für sie verfasst. Diese Briefe haben wir in Auschwitz während unserer kleinen Gedenkfeier verlesen und wir haben Blumen für sie und für die vielen unzählbaren Toten niedergelegt.

Auschwitz wird immer ein dunkler Fleck in der Geschichte bleiben. Auschwitz warnt uns vor dem, wozu Menschen in der Lage sind anderen Menschen anzutun. Fraglos wird unser Besuch dort uns für immer daran erinnern, wie wichtig es ist, für Toleranz, Mitgefühl und Menschlichkeit einzustehen. Auschwitz war ein Ort des Leidens, aber es kann auch ein Ort des Lernens und der Erinnerung sein, damit wir niemals vergessen, wohin Hass und Intoleranz führen können.

Der Besuch war eine Mahnung – er zeigte uns, dass in Menschen auch sehr viel Böses schlummern kann. Er war ein Aufruf, niemals die Augen vor den Gräueltaten der Vergangenheit und der Zukunft zu verschließen, niemals wieder wegzusehen, nicht so handeln, wie der Kraftfahrer in Auschwitz es ausdrückte: „Ich habe lieber weggeschaut“. Denn welche Folgen das Wegschauen haben kann, sollte nun allen ausnahmslos bewusst geworden sein. Wir tragen die Verantwortung für die Zukunft, diese Geschichte und ihre vielen Opfer nie zu vergessen und müssen sicherstellen, dass sich diese Taten nie wieder wiederholen; nie wieder dürfen wir sagen:

„Ich habe lieber weggeschaut!“

Malisa Wandrei

Lieber Aron Adolf Emmering,  

bereits jetzt weiß ich nicht so recht, was ich schreiben soll. Was schreibt man in einem Brief an eine Person, die brutal ermordet wurde? Die zu einer von den Nazis systematisch verfolgten und verhassten Gruppe gehörte, die in einem nur dafür errichteten Vernichtungslager umgebracht wurde?

Denn genau so muss man diese Ermordungen beschreiben: systematisch. Ausgeführt von einem ganzen Staat, getragen von einer Vielzahl der Bevölkerung. Und die Bevölkerung wusste, dass etwas mit den Juden geschah. Die Menschen wussten vielleicht nicht, dass Juden in Konzentrations- und Vernichtungslagern brutal umgebracht wurden. Aber sie haben mitbekommen, dass eben diese Juden deportiert wurden – in Konzentrationslager – und auch die waren nicht unbekannt.

Wusstest du all das? Wusstest du von den Konzentrationslagern und den Massenermordungen?

Du hast Deutschland 1935 mit deiner Mutter und deinem Bruder verlassen und bist nach Holland geflohen. War die Existenz von KZs dort bekannt?

War es trotz der Anfeindungen und Gefahren schwer, Lübeck zu verlassen? Die Stadt, die für fast 20 Jahre deine Heimat, dein Zuhause, war?

Heute sind vor deinem Haus in der Schildstraße 5 Stolpersteine verlegt, die an die Verfolgung und Ermordung Deiner Familie erinnern sollen. Ach so, ein Stolperstein ist eine kleine, im Boden verlegte Gedenktafel. Auf ihr stehen Name, Geburtsdatum und auch Todesort und -datum. Sie sind nur etwa 10cm mal 10cm groß und glänzen golden, da sie aus Messing sind.

Das hier steht auf deinem Stolperstein:

Auschwitz. 1943 bist du nach Auschwitz gekommen. Nein, du bist dort hingebracht worden – wie ein Stück Vieh in einem Güterwaggon mit der Absicht, dich zu töten.
Wusstest du das? Was hast du gedacht, als du Auschwitz gesehen hast? War es sehr schlimm, von deiner Familie getrennt zu werden, schon vor Auschwitz?
All dies sind Dinge, die ich mir nicht vorstellen kann.
Und du kannst mir keine Antwort geben. Vielleicht würdest du mir keine Antwort geben wollen.
Vielleicht sind dir so schlimme Dinge widerfahren, die kein Mensch verarbeiten kann.
Ein Mensch.
Denn genau das warst du. Ein Mensch.
Homo sapiens.
Du warst einer von uns Menschen.
Du sahst nicht anders aus, nur weil du Jude warst.
Du hattest kein „jüdisches Blut“, deine Religion war nicht in deinem Blut, so etwas kann gar nicht sein.
Du hast keine Brunnen vergiftet.
Du warst an keiner Weltverschwörung beteiligt.

All dies sind Dinge, die über Juden gesagt wurden. Gesagt werden.
Aber warum?
Warum schiebt man euch Juden die Schuld für solche Sachen in die Schuhe?
Warum sagt man, dass ihr „anders“ ausseht, nur weil ihr Juden seid, obwohl die Religion nichts mit den Genen und dem Aussehen zu tun hat?
Warum sagt man, ihr seid es nicht wert zu leben, nur weil ihr Juden seid?
Ich weiß es nicht, du weißt es nicht, keiner weiß es so genau.
Und dennoch ist es so unfair, so ungerecht und vor allem unverständlich.

So etwas darf sich nicht wiederholen.
Und nun stehe ich hier, fast genau 80 Jahre nach deiner Deportation nach Auschwitz.
An dem Ort, wo du deinen Tod gefunden hast, wo du ermordet wurdest.

Lieber Aron, du warst gerade einmal 38 Jahre alt, als dir dein Leben genommen wurde. Viel zu früh. Ich hoffe, du hast dort, wo Du jetzt bist, Frieden gefunden, ich habe noch lange keinen Frieden gefunden – wie konnte der Holocaust geschehen?
Du, deine Familie und all die anderen Millionen Menschen, deren Leben genommen wurde:
Ihr seid nicht vergessen.
Wir werden euch nicht vergessen.
Ich werde euch nicht vergessen.

Ruhe in Frieden, Adolf Aron Emmering

Jan Philipp Jochims

Liebe Frau Betty Emmering,

ich hoffe, dieser Brief erreicht Sie, obwohl ich weiß, dass die Ereignisse, die ich ansprechen werde, vor vielen Jahren stattgefunden haben. Mein Name ist Selina Fellenberg, und ich bin eine Schülerin der 11. Klasse am Ostsee-Gymnasium Timmendorfer Strand.

In meiner Projektwoche habe ich an der Vorbereitung für unsere Auschwitzfahrt teilgenommen, dort haben wir uns mit verschiedenen Aspekten des Holocausts und der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beschäftigt.

Dabei bin ich auf Ihre Lebensgeschichte gestoßen, die mich zutiefst berührt hat.

Es ist schwer vorstellbar, durch welche schrecklichen Zeiten Sie gegangen sind. Sie wurden 1881 in Deutschland geboren. Ihre Entscheidung, 1935 nach Holland zu fliehen, zeugt von großem Mut und Überlebensinstinkt, besonders in Anbetracht der sich verschlechternden politischen Lage in Deutschland.

Um so trauriger ist es zu wissen, dass Ihre Flucht nicht ausreichte, um Sie vor der Grausamkeit der Nazis zu schützen. Im Jahr 1943 wurden Sie zunächst nach Bergen-Belsen und dann 1944 nach Auschwitz deportiert, einem Ort des unermesslichen Leids und des Todes für so viele unschuldige Menschen. Dort wurden sie am 11. Oktober 1944 ermordet.

Als Schülerin finde ich es wichtig, dass Ihre Geschichte und die Geschichten anderer Holocaust-Überlebenden erzählt werden, um sicherzustellen, dass die Welt niemals die schrecklichen Taten vergisst, die während dieser Zeit begangen wurden. Ihr Leben und Ihre Erfahrungen sind ein wichtiger Teil unserer Geschichte, der nicht in Vergessenheit geraten darf.

Ich möchte Ihnen meinen Respekt und meine Anerkennung für Ihre Stärke und Ihren Überlebenswillen ausdrücken. Obwohl wir uns nie persönlich begegnet sind, bin ich dankbar dafür, dass ich Ihre Geschichte kennenlernen durfte. Sie sind eine Person, die für die Menschlichkeit und den Kampf gegen Vorurteile und Hass steht.

In Gedanken bei Ihnen und mit großem Respekt,

Selina Fellenberg

Liebe Jürris Elsa Strawczynski,
Auch wenn Dir in den dunkelsten Zeiten des Holocausts Dein Leben entrissen wurde, widme ich Dir diesen Brief, um die Erinnerung an Dich zu erhalten.
Dein Name ist der Welt nicht so bekannt, wie er eigentlich sein sollte. Ich fasse noch einmal zusammen, was Dir im sogenannten Dritten Reich passiert ist.
Nur weil Du eine sogenannte Halbjüdin warst, nahm man Dir deine Hoffnungen und Träume, Dein ganzes Leben voller Möglichkeiten. Man nahm Dir das Menschsein. Niemals werde ich mir vorstellen können, wie schmerzerfüllt Deine Erfahrungen gewesen sein müssen. Du hattest Familie, Deine Eltern, Deinen Mann, Deine geliebten Söhne, welche Dich vermisst haben. Es muss unerträglich gewesen sein, von ihnen getrennt zu sein, nicht zu wissen, wie es ihnen geht. Vielleicht gabst Du Dir sogar für Momente selbst die Schuld für das Geschehene, wünschtest, Du wärst in einer anderen Welt, zu einer anderen Zeit geboren worden.
Niemals darf vergessen werden, welches Unrecht und welcher Schrecken dir und all den anderen Opfern widerfahren ist. Wir müssen gegen jede Form von Hass kämpfen, damit nie wieder irgendjemand Zeuge eines solchen Verbrechens gegen die Menschlichkeit wird.

In Gedenken und tiefer Anerkennung,

Aimée-Jil Döge

Liebe Elsa Strawczynski
ich schreibe dir diesen Brief, obwohl ich ganz genau weiß, dass Worte allein nicht ausreichen werden, um meine Emotionen widerzuspiegeln.
Deine Lebensgeschichte hat sich in mein Herz gebrannt und ich bewundere dich für deine unglaubliche Stärke als Frau, Mutter und Gattin, die du inmitten des Holocausts gezeigt hast.
David, dein Mann und du seid wahrlich bemerkenswert. Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, wie es sich angefühlt haben muss, eure Söhne bei der Flucht nach Holland zurückgelassen zu haben, um sie vor der Einweisung in ein Konzentrationslager zu schützen. Das Unwissen darüber, ob jedes Wiedersehen mit euren Söhnen das letzte sein könnte — schrecklich.
Die Opfer, die du erbracht hast, die Zeit mit deinen Söhnen, allein, weil du eine Halbjüdin warst, zeigen, wie sehr dir deine Familie am Herzen lag.
In der Hoffnung auf ein besseres Leben seid ihr – du und David – nach Brüssel gezogen und konntet euch nach fast drei Jahren endlich wieder mit euren Söhnen vereinen, die nun schon erwachsen waren. Das Glück sollte allerdings nicht von langer Dauer sein, die Wiedervereinigung nahm bedauerlicherweise ein Ende, da Brüssel schon von Deutschland besetzt war. Ihr wurdet gemeinsam als Familie nach Auschwitz deportiert und du, liebe Elsa, hast aufgrund deines Geschlechts direkt nach der Ankunft dein Leben verloren.
In meinen Augen warst du eine Heldin, die ihre Widerstandsfähigkeit und Opferbereitschaft klar offenbart hat. Du warst ein Opfer des Holocausts, jedoch ist deine Geschichte ein Zeugnis für die Stärke des menschlichen Geistes und der bedingungslosen Liebe einer Mutter zu ihrer Familie. Dein Vermächtnis erinnert uns daran, die schrecklichen Konsequenzen von Hass niemals zu vergessen.
Es ist mir bewusst, dass es seltsam erscheinen mag, dass ich, eine privilegierte, 16-jährige Deutsche an ein Holocaust-Opfer schreibt, jedoch möchte ich dir eines versichern, ich werde deine Geschichte mit großer Ehrfurcht und Verantwortung tragen. Elsa, ich möchte, dass du weißt, dass deine Geschichte nicht in Vergessenheit geraten wird. Ich werde sie tief in meinem Herzen bewahren und weitergeben, denn die Welt darf nicht vergessen, was du und deine Familie und die unzähligen weiteren Juden in dieser furchtbaren Zeit durchgemacht habt.
Ich selbst stehe kurz vor einer Reise nach Auschwitz und es bricht mir das Herz zu wissen, dass du trotz deiner Bemühungen nicht vor den Grauen des Holocaust verschont werden konntest.
Während meiner Reise wirst du stets in meinen Gedanken sein, du erinnerst uns daran, wie wichtig es ist, gegen Hass und Intoleranz einzutreten, damit die Schrecken des Holocausts sich niemals wiederholen können.
Mögen deine Familie und du in Frieden ruhen und eure Geschichte in unserem Herzen weiterleben.

 

In Liebe und Respekt,


Anna Sophie Noserke

Liebe Frieda Bär,

wir hoffen, dieser Brief erreicht dich auf besondere Weise, auch wenn du längst nicht mehr bei uns auf der Erde, sondern an einem anderen Ort ruhst.

Wir sind Jette Böge und Karolina Kulak und schreiben dir als Teilnehmer im Rahmen einer bevorstehenden Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz.

Uns ist bewusst, dass diese Reise für alle Teilnehmer ein tiefgreifendes Erlebnis sein wird. Diese Fahrt soll uns die Gelegenheit bieten, die grausame Geschichte unseres Landes und unserer Vorfahren zu begreifen. Doch mit „begreifen“ meinen wir nicht nur, zu wissen, was damals geschehen ist, sondern es auf einer emotionalen Ebene zu erfühlen. Auch wenn diese Gefühle niemals die volle Realität widerspiegeln können.

Frieda, über deine Kindheit ist uns leider nichts bekannt, außer, dass du sie in Lübeck verbracht hast. Weitere Informationen über dein Leben tauchen erst mit dem Umzug von der Königstraße 45 in die St. Annen-Straße 20 in Lübeck im Jahr 1935 auf. Dieser Umzug scheint ein bedeutender Wendepunkt in deinem Leben gewesen zu sein, und wir fragen uns, ob du damals vielleicht schon unbewusst eine Ahnung von den bevorstehenden Veränderungen hattest. Denn ab diesem Zeitpunkt, veränderte sich alles schlagartig.

Nachdem dein Ehemann Semmy Bär und du der Deportation nach Riga im Winter 1941 entkommen wart, war der Verlust von Semmy im folgenden Frühjahr womöglich wie ein emotionaler Tiefpunkt, nach einem Funken Hoffnung. Zu dieser Zeit wohntet ihr wahrscheinlich im Asylheim der jüdischen Gemeinde in der St.-Annen-Straße 11. Wie muss sich dieser Schicksalsschlag für dich angefühlt haben? Obwohl wir womöglich eigentlich gar nicht wissen möchten, wie es sich anfühlt, die einzige Person zu verlieren, die man noch um sich hat und die man liebt, sind wir dennoch interessiert daran, wie du mit dieser tiefen Trauer umgegangen bist.

Nur drei Monate und fünf Tage später folgte das Ereignis, das dich wahrscheinlich schließlich komplett aus dem Leben gerissen hat: die Deportation nach Theresienstadt. Du wurdest zu einem der Opfer dieses schrecklichen Verbrechens. Während wir grade dabei sind, diesen Brief zu schreiben, stellen sich uns lauter Fragen. Wie verlief die Deportation? Hattest du eine Vorstellung davon, was dich erwartet? Welche Gefühle hast du in diesem Moment verspürt? Hast du geahnt, wohin sie euch bringen würden? Wir könnten noch viele weitere Fragen stellen, doch sie werden wohl für immer unbeantwortet bleiben, denn niemand außer dir kann sie beantworten. Und genau das ist das Schlimme an der Vergangenheit.

Nach der Deportation nach Theresienstadt folgte am 29. Januar 1943 der Transport nach Auschwitz, an dem Tag, der dein letzter auf dieser Erde gewesen sein soll.

Während wir nun diese Worte niederschreiben, überkommt uns beide tiefe Nachdenklichkeit. Wir können und wollen einfach nicht verstehen, warum solche Verbrechen Teil unserer Geschichte sind. Warum gibt es Menschen, die andere Menschen verschleppen, leiden lassen und letztendlich töten? Und das alles mit voller Absicht? Es bleibt in unseren Augen unerklärbar.

Frieda, du musst eine unglaublich starke Frau gewesen sein. Und wir haben den vollsten Respekt vor dir und den anderen Opfern des Holocausts. Geschichten wie deine sind Mahnungen an uns alle, niemals die Vergangenheit zu vergessen. Millionen unschuldiger Menschen, unter anderem du, wurden Opfer ders schlimmsten Verbrechens der Menschheitsgeschichte.

Was ihr alles erleben musstet, ist einfach nicht vorstellbar. Auch wenn ihr als Zeugen nicht mehr bei uns seid, bleiben eure Geschichten hoffentlich unter uns und dienen nicht nur als Erinnerung, sondern als Beweis eurer Tapferkeit und Stärke.

Deine Geschichte ist eine Mahnung an uns alle, die Erinnerungen an die unmenschlichen Verbrechen und schrecklichen Ereignisse des Holocaust in unseren Gedanken zu bewahren. Wir dürfen niemals vergessen, was geschehen ist, und wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass sich solche Gräueltaten nie wiederholen. Und obwohl dies die Vergangenheit nicht ändern kann, hoffe ich, dass sie bewirkt, dass die folgenden Generationen vor ähnlich schrecklichen Schicksalen bewahrt werden.

 

Und wir persönlich nehmen uns zur Aufgabe, deine Geschichte weiter in die Welt zu bringen.

Du bleibst in unseren Erinnerungen.

 

Deine Jette Böge und Karolina Kulak

Lieber Hermann Rosenstein,

ich hoffe, dass diese Nachricht Dich in Frieden erreicht, wo immer du jetzt auch sein magst.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie du Dich gefühlt haben musst, als von Deutschland Juden in die Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Dachtest Du an deine Familie? Hattest du noch Hoffnung auf ein Überleben? Oder hast du nur noch auf den grausamen Tod gewartet?

Aus heutiger Sicht ist es unvorstellbar, wie viele Menschen ihr Leben verloren haben. Und all das nur, weil man einer anderen Religionsgemeinschaft angehört hat, weil man politisch eine andere Meinung hatte oder weil man mit Behinderungen geboren wurde. Ausgrenzung und Rassismus regierten in Deutschland. Daran zu denken, wie viele dieser ermordeten Menschen ein glückliches Leben lebten und eine glückliche Zukunft vor sich gehabt hätten, ist für mich kaum zu ertragen. Der Gedanke daran, dass ein so junger Mensch, wie du es warst, mit Plänen und Träumen für die Zukunft, nur aufgrund seiner Religion ausgegrenzt und später ermordet wurde, lässt mich erschüttern.

Als eine Person, die fernab von dieser Zeit geboren wurde, kann ich, egal wie sehr ich mich anstrengen würde, nie begreifen, wie man sich in so einer Hölle fühlen muss. Zu wissen, dass man nicht mehr lange lebt und dass meine Tage gezählt sind, wie hält man das aus?? Keinen Ausblick auf eine Zukunft zu haben, ausgelöscht zu werden. Es ist unbegreiflich.

Deshalb möchte ich mein tiefstes Mitgefühl ausdrücken für das Leid, das Du und viele andere Menschen während dieser dunklen Zeit unserer Geschichte erlitten haben. Dein Schicksal und das vieler anderer Opfer des Holocausts, erschüttern mich und sie führen mir  schmerzhaft vor Augen, welches Unrecht Menschen einander antun können.

Es ist wichtig, dass sich die heutige Generation an dieses unbeschreibliche Unrecht erinnert, um sicherzustellen, dass sich so etwas nie wiederholt. Aus der Geschichte können wir lernen, dass es wichtig ist, Werte wie Toleranz und Respekt zu fördern. Nur dadurch können wir eine bessere Zukunft schaffen. Und wir können lernen, dass es Situationen gibt, an denen man nicht schweigen darf, sondern seinen Mund aufmachen und einschreiten muss.

In Gedanken bin ich bei Dir und allen anderen Opfern des Holocausts. Mögen Eure Erinnerungen in unseren Herzen weiterleben und uns dazu inspirieren, eine Welt zu schaffen, in der solches Unrecht niemals wieder geschehen.

 

In aufrichtiger Verbundenheit

Hannah Zapfe

Lieber James Lissauer,

ich bin Ida Warnemünde aus Sierksdorf, das ist nicht weit entfernt von Lübeck, deinem früheren Wohnort. Ich gehe in die elfte Klasse des Ostsee-Gymnasiums Timmendorfer Strand. Meine Schule bietet für die elften Klassen die Teilnahme an einer Gedenkstättenfahrt an, deshalb schreibe ich dir. Ich werde mit auf diese Gedenkstättenfahrt fahren und mich mit deiner, aber auch mit der Geschichte von vielen anderen Opfern des Holocausts beschäftigen.

Wenn ich jetzt vorher daran denke, an dem Ort zu stehen, an welchem so vielen Menschen so viel Leid zugefügt wurde, fühle ich mich sehr leer. Ich weiß noch gar nicht, wie ich mit diesem Gedanken umgehen soll. Diese Fahrt bedeutet nicht nur, dass ich mich mit den geschichtlichen Aspekten der Zeit beschäftigen werde, sondern auch vor allem mit dem Leid und dem Schmerz der vielen Opfer.

Dass ich und viele andere an dieser Fahrt teilnehmen dürfen, bedeutet mir sehr viel. Und ich hoffe, dass wir damit ein Andenken an die Opfer des Holocausts schaffen können. Durch die eigene Teilnahme möchte ich sicherstellen, dass ich mich mit dem Thema beschäftige, besser auskenne und in der Zukunft auch andere Schülerinnen und Schüler über das Thema aufklären kann.

Obwohl du in den wirren und schrecklichen Zeiten des Holocausts auf tragische Weise dein Leben verloren hast, schreibe ich dies, um an dich zu denken, zu erinnern und dafür zu sorgen, dass dein Leben und deine Geschichte niemals in Vergessenheit geraten werden.

Ich versuche mir vorzustellen, wie die Zeit für dich gewesen sein muss.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du gelebt hast, wie du in Lübeck zur Schule gegangen bist.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du mit deinen Geschwistern in deiner Kindheit draußen auf der Straße gespielt hast.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du mit deiner Familie am Tisch gesessen und zu Abend gegessen hast.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du angefangen hast, in deinem Beruf zu arbeiten.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du eine zukünftige Ehefrau kennengelernt hast.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du mit deiner Ehefrau in ein gemeinsames Zuhause gezogen bist.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du dich gefürchtet hast, als die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus angefangen hat.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du dich gefühlt haben musst, als deine Religion plötzlich eine Gefahr für deine Ehefrau darstellte.

Ich versuche mir vorzustellen, wie traurig du warst als du wegen deiner Religion deinen Beruf aufgeben musstest.

Ich versuche mir vorzustellen, wie verzweifelt du auf deiner Flucht vor dem Grauen warst.

Ich versuche mir vorzustellen, wie verängstigt du bei deiner Internierung warst.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du dich bei der Deportierung gefühlt hast.

Ich versuche mir so vieles aus deinem Leben auszumalen, doch ich kann mir nichts von dem auch nur ansatzweise vorstellen. Ich habe mich mit deiner Geschichte beschäftigt und trotzdem fällt es mir schwer zu realisieren, was du alles durchmachen musstest.

Deine Geschichte begann am 8. Februar 1885 als du in Hamburg geboren wurdest. Ephraim Joseph Lissauer und Helene Lissauer waren deine Eltern. Deine Familie wohnte schon seit vielen Jahren in Lübeck, erst in Moisling und dann in der Schildstraße 5 in Lübeck, wo du mit deinen Großeltern, Eltern, Geschwistern und anderen Verwandten lebtest. Deine Großeltern hatten im unteren Teil des Hauses ein Geschäft, während ihr im oberen Teil des Hauses gelebt habt. Die jüdische Religion war auch in deiner Kindheit schon ein wichtiger Teil der Erziehung. Es ist anzunehmen, dass du in der israelischen Schule der Gemeinde zur Schule gegangen bist und, dass dein Religionsunterricht in der neuen Synagoge stattgefunden hat.

Außerhalb der Schule hast du viel Zeit mit deinen vier älteren Brüdern Meno, Hermann, Ernst und Friedman, deiner großen Schwester Betty und deiner kleinen Schwester Irma verbracht. Nach der Schule hast du deinen Beruf als Schlachtergeselle angefangen auszuüben. Während dessen hat deine Schwester Betty den Holländer Simon Emmering geheiratet. Zu dieser Zeit lerntest du deine Frau Dora Wisser kennen. Ihr habt geheiratet und seid in ein gemeinsames Zuhause gezogen.

Bis zu diesem Punkt hattest du ein sehr schönes Leben. Alles scheint aus meinen Augen so perfekt. Du hattest einen Beruf, der dich erfüllte, eine wundervolle Familie und du hattest die Liebe deines Lebens gefunden. Du hattest Hoffnung, Spaß und Pläne. Umso schwerer fällt es mir, den Rest deines Lebens zu betrachten. An diesem Zeitpunkt konnte noch keiner ahnen, welche grausamen Zeiten auf dich, deine Familie und auf so viele andere zukommen würden.

Kurz nachdem du angefangen hattest zu arbeiten, kamen die Nazis an die Macht und du warst gezwungen aufgrund deiner jüdischen Religion deinen Beruf zu wechseln, erst zum Viehtransporteur und dann zum Transporteur. Zu diesem Zeitpunkt wurde dann klar, dass deine Religion zur Gefahr für dich und deine evangelische Frau wurde. Durch deine jüdische Religion wurde nun auch sie zur Zielgruppe der furchtbaren Nationalsozialisten. Da deine Schwester Betty einen Holländer geheiratet hatte, habt ihr die Flucht nach Holland angetreten und hofftet, in den Niederladen ein friedlicheres und sicheres Leben führen zu können. Dem war leider nicht so. Du wurdest nur ein paar Jahre später interniert und nach Westerbork gebracht.

Ich mag mir gar nicht denken, wie du dich zu dieser Zeit gefühlt haben musst. In so kurzer Zeit hat sich ein Leben von einem schönen hoffnungsvollen Leben in einen aussichtslosen Albtraum verwandelt. Du wurdest von deiner Familie und deiner Frau getrennt. Du hattest sicher furchtbare Angst.

Im Jahre 1944 wurdest du aus Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Ab hier geht deine Geschichte sehr schnell. Du warst nicht lange in Theresienstadt und wurdest noch im gleichen Jahr nach Auschwitz deportiert. Am 7.7.1944 wurdest Du in Auschwitz ermordet. Dein Leben war zu Ende.

Woran hast du in all der Zeit gedacht? Hattest du Hoffnung? Wusstest du, wie es deiner Familie geht? Ich habe so viele Fragen an diese Zeit damals und an deine Geschichte. Doch leider kann sie mir niemand beantworten.

Dir und so vielen anderen wurde die Familie und das Zuhause, aber auch die Hoffnung und die Träume weggenommen. So viele unschuldige Menschen wurden verfolgt, gefoltert und getötet. Jeder von ihnen hatte eine individuelle Geschichte. Jeder von Ihnen hatte Ziele und Träume. Den meisten wurde dies genommen.

James Lissauer, dir wurde auf so grausame Weise das Recht auf dein Leben genommen, und das kann keiner auf irgendeine Weise wiedergutmachen.

Doch trotzdem möchte ich dir sagen, dass deine Geschichte mich berührt und ich deshalb dafür sorgen möchte, dass du, deine Familie und deine Geschichte nicht in Vergessenheit geratet.

Jetzt, nach der Gedenkstättenfahrt, kann ich sagen, dass dein Schicksal mich die ganze Fahrt über aber auch jetzt noch begleitet. Meine eindrucksvollste Erinnerung an die Fahrt ist der Satz eines Transporteurs in Auschwitz. Er kümmerte sich darum, die Inhaftierten von der Rampe zu den Gaskammern zu bringen. Er sagte: „Ich habe immer versucht, nicht richtig hinzuschauen.“

Dieser Satz begleitet mich Tag für Tag. Ich frage mich, wie dein Leben ausgesehen hätte, wenn mehr Menschen hingesehen hätten.

Ich möchte nicht wegschauen, bei Antisemitismus, Rassismus, Mobbing und vielem mehr. Ich möchte hinschauen und etwas tun. Und ich werde für dich und für die anderen vielen Opfer dafür sorgen, dass mehr Leute hinschauen.

 

Mit tiefstem Respekt und Gedenken an dich,

Ida Warnemünde

Liebe Lisa,

Ich schreibe Dir diesen Brief mit großer Trauer und ich empfinde tiefen Schmerz, wenn ich an Dein Schicksal denke. Es gibt keine Worte dafür, was dir widerfahren ist.

Ich würde so gerne wissen, wie Du als junge Frau gewesen bist. Ich würde gerne wissen, wie es Dir ging, bevor die Schrecken des Nationalsozialismus über Dich hereinbrachen und was Deine Gedanken waren. Was hast Du gerne gemacht? Warst Du viel mit Deinen Freunden draußen? Obwohl wir uns leider nie kennenlernen können, stelle ich mir Dich als ein außergewöhnliches Mädchen vor. Du hattest bestimmt große Träume. Was waren diese? Es ist nur zu bedauern, dass diese wahrscheinlich nie in Erfüllung gegangen sind.

Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr mir die Tragödien des Holocausts leidtun. Ich kann es mir gar nicht ausmalen, wie es für Dich und alle anderen war, die diesem tragischen Schicksal ausgesetzt waren. So was sollte kein Mensch auf dieser Welt erleben müssen. Nun stehe ich hier in der Gedenkstätte Auschwitz – an dem Ort des größten Menschheitsverbrechens überhaupt und denke an Dich. Du hast es mehr als verdient, dass wir an Dich gedenken. Es ist wichtig, diese schlimmen Taten in Erinnerung zu halten und alles, was man über den Holocaust weiß, weiterzugeben. Und genau aus diesem Grund, werde ich Deinen liebevollen Geist in Erinnerung halten.

Ich frage mich ständig, wie man so etwas Schreckliches, so unschuldigen Menschen nur antun konnte. Doch darauf wird es nie eine Antwort geben.

Mit diesem Brief und dieser Fahrt möchte ich dir mein Mitgefühl ausdrücken und mehr über den Holocaust lernen. Ich schaue nun in den Himmel und stelle mir vor, dass Du nun an einem friedlichen Ort bist. Das wünsche ich Dir von Herzen.  

 

In Liebe,

Deine Tienna Denker

Liebe Martha Bertha Hindel,  

Ich schreibe dir diesen Brief aus einer Welt, die von Dunkelheit und Schatten erfüllt ist, während ich hier im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz bin. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie ich mich fühle, an diesem Ort zu sein, an dem du und so viele andere unschuldige Menschen so grausam gelitten haben.

Ich kann mir nicht einmal im Entferntesten vorstellen, durch welche Hölle du gegangen sein musst, von deiner Verhaftung bis zu dem schrecklichen Tag, an dem du hierher gebracht wurdest. Wie hast du die Ungewissheit ertragen, nicht zu wissen, was mit deiner Familie und mit deinen Freunden in Lübeck passiert ist?

Deine Standhaftigkeit, deine Überzeugung und dein Glaube in dieser düsteren Zeit sind ein beeindruckendes Zeugnis deiner Stärke und deiner Entschlossenheit. Wie konntest du trotz aller Widrigkeiten deinen Glauben an die Zeugen Jehovas bewahren? Welche Gedanken und Hoffnungen hast du in diesen schrecklichen Momenten in deinem Herzen getragen?

Es bricht mir das Herz zu wissen, dass du und so viele andere hier so viel Leid erfahren haben. Deine Geschichte und die Geschichten aller, die in dieser Hölle gelitten haben, dürfen niemals in Vergessenheit geraten. Es ist unsere Pflicht, die Erinnerung an dich und deine Mitgefangenen aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass solche Gräueltaten nie wieder geschehen.

Inmitten all dieser Dunkelheit und des Grauens hier in Auschwitz möchte ich dir sagen, dass du nicht vergessen bist. Deine Geschichte lebt in den Herzen derer weiter, die von deinem Schicksal erfahren haben. Dein Mut und deine Entschlossenheit sind eine Quelle der Inspiration für uns alle.

 

Mit tiefem Respekt und tiefer Trauer,

Sienna Werner

Liebe Hanna Mecklenburg,

mein Name ist Vanessa Hauswald und ich bin 16 Jahre alt. Ich komme aus Groß Timmendorf, nicht weit von Lübeck, deinem Heimatort, entfernt. Ich bin Schülerin des Ostsee-Gymnasium Timmendorfer Strand.

Ich schreibe dir aufgrund meiner Teilnahme an der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz. Bei dieser Fahrt beschäftigen wir uns noch tiefgründiger mit diesem geschichtlichen Ereignis und versuchen dabei, die bedeutendste und zugleich schrecklichste Geschichte Deutschlands besser zu verstehen.

Seit mehreren Jahren bietet unsere Schule diese Gedenkstättenfahrt an, und im Laufe der Zeit ist es zu einer Tradition geworden, dass wir uns am letzten Tag in Auschwitz versammeln, um an die verstorbenen Juden zu gedenken. Dies tun wir in Form von Briefen, die uns die Gelegenheit bieten, unsere Gedanken und Gefühle auszudrücken.

Die Möglichkeit, an dieser Fahrt teilzunehmen, und die Erzählungen der vorherigen Teilnehmer erinnern mich daran, wie wichtig es ist, sich ausreichend mit diesem geschichtlichen Ereignis zu beschäftigen, um daraus zu lernen und sicherzustellen, dass so etwas nie wieder vorkommt.

Ich möchte deine Geschichte und deine Erfahrungen verstehen, um daraus zu lernen und um die Bedeutung von Toleranz, Vielfalt und Menschlichkeit an die jüngeren Leute weiterzugeben.

Wie war deine Kindheit? Hattest du viele Freunde? Wussten deine Freunde vor dem Nationalsozialismus, dass du Jüdin bist? Wie sah deine Familie aus? Wie waren deine Beziehungen zu ihnen? Wie hast du dich gefühlt, als du erfahren hast, dass die Nazis an die Macht kamen? Wie bist du mit deinen Gefühlen umgegangen? Gab es Personen, die dir besonders in dieser Zeit geholfen haben? Gab es Momente der Freude oder Hoffnung in dieser Zeit? Hast du während deiner Flucht viel über deine Familie und Freunde nachgedacht? Hast du dich oft gefragt, wie es ihnen geht? Wie hast du dich gefühlt, als du gehört hast, dass Deutschland Belgien überfallen hat? Wie hast du reagiert? Was wurde dir gesagt, als ihr entdeckt wurdet? Wusstest du, was dich erwartet, als du nach Auschwitz deportiert wurdest? Was waren deine Träume?

All diese Fragen kamen mir in den Sinn, als ich mich mit deiner Geschichte befasst habe. Ich möchte verstehen, wie du dich gefühlt hast, denn für mich ist es unvorstellbar, wie es für dich gewesen sein muss, in dieser Zeit deine Jugend zu verbringen.

Deine Kindheit, die du in Lübeck in der Mengstraße 52 verbracht hast, klingt nach einer Zeit, die trotz der Herausforderungen bezüglich deiner Religion, mit vielen liebevollen und schönen Momenten geprägt war. Ihr habt oft die Geburtstage und die Hochzeiten deiner Verwandten zusammen gefeiert, außerdem kam deine Oma Falck euch häufig besuchen. Du konntest im Gegensatz zu deinem Bruder zuerst auf eine „normale“/ nicht jüdische Schule, die Ernestinenschule, gehen. Diese Schule gibt es auch heute noch in Lübeck.
Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, fühltest du dich nicht mehr wohl in deiner Heimatstadt Lübeck. Wie solltest du dich auch wohl fühlen, wenn die Regierung einen unterdrücken will? Ich finde es bewegend zu lesen, wie du dich dem jüdischen Jugendbund angeschlossen hast, um mit Leuten, die sich genauso fühlten wie du, eine Auswanderung nach Palästina zu planen. Ihr wolltet dort einen jüdischen Staat aufbauen, der frei von Antisemitismus und Judenhass war. Dieser Plan ging leider nicht auf, da du kein Visum für Palästina bekamst. Ich finde es beeindruckend, was du in deinem jungen Alter erschaffen wolltest und es zeigt in meinen Augen auch deinen Mut und deinen Überlebenswillen. Auch eure Ausflüge am Wochenende, bei denen ihr wahrscheinlich versucht habt, der Realität für eine kurze Zeit zu entfliehen, stehen für mich als ein Ausdruck eurer Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Aufgrund der Angst vor der Kündigung entschied dein Vater, nach Brüssel zu fliehen, dies brachte wahrscheinlich große Unsicherheit und Angst in deine Familie. Jedoch stand fest, dass ihr ihm bald folgen würdet. So kamst du 1938 nach Belgien, wo du als Haushaltshilfe in einer belgischen Familie arbeitetest. Du lebtest mit deinen 16 Jahren nicht mal mit deiner Familie zusammen, sondern alleine in einer Kammer bei der Familie, bei der du gearbeitet hast. Ich kann mir nicht vorstellen, mit meinen 16 Jahren von meiner Familie getrennt zu werden. Als du die Nachricht bekommen hast, dass dein Vater verhaftet wurde und kurze Zeit später gestorben ist, wie hast du dich gefühlt? Wie hast du es erfahren? Wie bist du mit deiner Trauer umgegangen? Hattest du überhaupt Zeit zu trauern oder musstest du den ganzen Tag arbeiten? Hattest du nach der Verhaftung von deinem Vater noch mehr Angst, entdeckt zu werden? Als ihr die Aufforderung erhalten habt, euch im Sammellager einzufinden, wie hast du dich gefühlt? Dachtest du es ist vorbei oder hattest du noch Hoffnung auf eine Rettung? Nachdem du dich im Sammellager eingefunden hast, wurdest du am 11. August nach Auschwitz deportiert. Was waren deine Gedanken während der Zugfahrt?

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für dich gewesen sein muss, in dieser Zeit zu leben. Heutzutage haben wir alle Zugang zu Bildung, wir genießen Freiheit und uns bieten sich sehr viele Chancen, alles Dinge, die du in deiner Zeit nicht hattest. Außerdem ist unsere heutige Zeit von Technologie und Wohlstand geprägt. Wir können keinesfalls die heutige Zeit mit der Grausamkeit des Zweiten Weltkrieges vergleichen. Das damalige Geschehen ist für uns unvorstellbar und viel schlimmer als alles, was wir heute erleben. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie es sich anfühlt, mit Unsicherheit und Einschränkung der Freiheit zu leben. Wir waren während dieser Zeit gezwungen, zu Hause zu bleiben und unsere sozialen Kontakte zu vermeiden, um uns vor der Krankheit zu schützen. Es war für mich schwer, nicht zu wissen, was als Nächstes passieren wird. Wie musst du dich damals nur gefühlt haben? Es muss dich so viel Mut und Stärke gekostet haben, diese Zeit zu überstehen. Jeden Tag mit dem Gefühlt aufzuwachen, war es das jetzt? Wie viel Zeit bleibt mir noch? Werden wir bald gerettet?

Du und Millionen andere unschuldige Menschen, deren Leben während des Holocaust unvollendet blieb, wurden zu Opfern eines schrecklichen Verbrechens. Du sollst nicht nur als Opfer dieses schrecklichen Ereignis erinnert werden; niemand sollte das. Jeder einzelne, darunter auch du, hatte eine individuelle Geschichte, die man erzählen muss.

Ich verspreche dir, Hanna, dass ich mich immer an dich und dein Leben erinnern werde, welches dir auf so schreckliche Weise genommen wurde. Ich werde deine Geschichte weiter erzählen, damit die Welt nicht vergisst, was damals geschehen ist und um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder vorkommt. Zuletzt möchte ich dir noch mitteilen, dass bald in meiner Schule ein Mahnmal errichtet wird, um dich und deinen Bruder zu ehren. Dieses Mahnmal wird auf unserem Pausenhof stehen und uns immer an deine Geschichte und die deines Bruders erinnern.

Meine Gedanken sind bei dir, Hanna, und all den anderen unschuldigen Opfern des Holocaust.
Deine Vanessa Hauswald

Liebe Therese Mecklenburg,
ich glaube, dass niemand das, was Ihnen widerfahren ist, nachempfinden kann. Wie Sie als Mutter von zwei Kindern mit diesen im Dezember 1938 aus Ihrer Heimat Lübeck nach Wesembeek bei Brüssel, nach Belgien fliehen mussten, in der Hoffnung dort in Sicherheit zu sein. Die Furcht, als diese Hoffnung im Mai 1940 mit der Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen zunichte gemacht wurde.
Auch die Angst und den Schrecken, als man Ihre Familie auseinanderriss, Ihren Mann in das südfranzösische Internierungslager Gurs brachte und Sie und Ihre Kinder, Ihre 20-jährige Tochter Hanna Mecklenburg und Ihren 15 Jahre alten Sohn Hermann Marcus Mecklenburg, nach Auschwitz deportierte, ist für uns heute unvorstellbar und wir können beides nur erahnen.
In Auschwitz wurden Sie und Ihre Kinder umgebracht, Sie wurden zu einer der über 1 Million Juden, die in Auschwitz ihren Tod fanden. Ihr Mann kam im Internierungslager ums Leben.
Es gibt nichts, was diese Verbrechen wiedergutmachen könnte, nichts kann die Wunden heilen, die sie hinterlassen haben. Ich bin der Überzeugung, dass es wichtig ist, an die Verbrechen der Nationalsozialisten in ihrer Herrschaft von 1933 bis 1945 zu gedenken. Auch wenn die heutige junge Generation nicht mehr die Schuld trägt, dieses Verbrechen begangen zu haben, so trägt sie dennoch die Verantwortung, das Andenken der Opfer zu bewahren und zu verhindern, dass sich diese Schrecken wiederholen.
Mit der Gedenkstättenfahrt versuchen wir alle besser zu verstehen, wie es zu diesen Verbrechen kommen konnte, auch wenn es eigentlich nicht möglich ist zu verstehen, wie Menschen zu solch schrecklichen Taten fähig sind. Auch das Wissen um diese Zeit wollen wir in Erinnerung behalten und den Opfern gedenken. Denn die Geschichte, der Holocaust, darf weder vergessen werden, noch sich wiederholen.

Im Gedenken
Jan Ollech

Lieber Hermann Mecklenburg,

Ich schreibe dir diesen Brief aus der heutigen Perspektive, im Jahr 2023, und meine Gedanken sind erfüllt von tiefen Emotionen. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass auch Du einst ein Leben wie das eines gewöhnlichen Jugendlichen geführt hast, voller Träume, Hoffnungen und Freude.

Wenn ich über dein Leben nachdenke, sehe ich einen Jugendlichen aus Lübeck, der wie jeder andere in deiner Zeit war. Du hattest Freunde, Träume für die Zukunft und wahrscheinlich auch kleine alltägliche Sorgen. Doch dieses normale Leben wurde von den schrecklichen Ereignissen während des Nationalsozialismus unterbrochen und dann während des Holocausts abrupt beendet.

Es bricht mir das Herz zu denken, wie Du, ein Jugendlicher, in eine Zeit des Schreckens und der Verfolgung geriet, die du es dir niemals hättest vorstellen können. Du wurdest aus deinem Zuhause gerissen, von deiner Familie getrennt und in eine Welt des Grauens gestoßen.

Aber wieso? Es ist und bleibt einfach unvorstellbar. Wir haben uns alle schon so oft gefragt: „Wieso?“ und uns intensiv mit den vielen individuellen Schicksalen, wie deinem, befasst! Doch niemals haben wir eine Erklärung gefunden und werden es auch nie, die diese unbegreiflichen Taten rechtfertigen. Ich kann kaum in Worte fassen, was ich sagen möchte und ich kann und möchte mir nicht einmal annähernd ausmalen, was Du gespürt haben magst: Ungewissheit, Angst, Trauer, vielleicht auch Hoffnung. Einen Jugendlichen wie dich, aufgrund seines Glaubens einfach aus dem Leben zu reißen! So viele Menschen wie Schlachtvieh zusammenzutreiben und dann einfach zu vergasen.

Die Schrecken des Holocausts haben das Leben von so vielen unschuldigen Menschen wie deines für immer verändert. Die meisten sind ermordet worden, nur wenige haben es geschafft, zu überleben. Dir war es leider nicht vergönnt, weiter leben zu dürfen. Du durftest nur 15 Jahre alt werden. Ich bin bereits 16 – ich habe Dich schon um 1 Jahr überlebt. Diese Vorstellung bedrückt mich sehr.

Dein Schicksal und das von Millionen anderer Juden während dieser dunklen Zeit erfüllt uns mit Trauer und Entsetzen. Wir müssen uns daran erinnern, dass dies nicht nur eine historische Episode ist, sondern eine Tragödie, die das Leben von Menschen wie dir zutiefst beeinflusst hat.

In der heutigen Zeit setzen wir uns dafür ein, dass solche Gräueltaten nie wieder passieren, und wir kämpfen gegen Hass, Diskriminierung und Vorurteile. Wir gedenken dir und all der anderen Opfer des Holocausts, um sicherzustellen, dass ihre Geschichte und ihr Leiden nie in Vergessenheit geraten.

Deine Geschichte bewegt uns zutiefst, und wir tragen deine Erinnerung in unseren Herzen. Wir versprechen, dass deine Geschichte niemals vergessen wird, und wir setzen uns dafür ein, eine Welt des Friedens und der Menschlichkeit zu schaffen, in der solche Schrecken nie wieder geschehen können.

Ruhe in Frieden und möge deine Erinnerung für immer in unseren Herzen weiterleben.

Mit tiefer Trauer und Respekt,

Malisa Wandrei